Thema Lean Management und Führung

Experten-Interview mit Benno Löffler Weiterlesen

Was macht zukünftig den Unterschied zwischen Durchschnitt und Weltklasse im mittelständischen Maschinenbau? Und warum dürfen wir in unserer Branche deshalb lernen, neu zu denken?

Benno Löffler, Berater von V&S (Vollmer& Scheffczyk GmbH), hat mit uns darüber gesprochen und gibt uns einen interessanten Blick auf eine Denk­weise, die wir in einem Beratungsprojekt zum Thema Lean Management kennengelernt haben.

Sie bezeichnen den Maschinenbau als Ihre Lieblingsbranche. Eine Liebeserklärung, die Sie uns kurz erklären müssen?

Ich bin der Meinung, dass der Maschinenbau durchaus einen großen Beitrag zum Wohlstand und zu einem nicht ganz so mühsamem Leben auf diesem Planeten beiträgt. Und ich habe Spaß an Technik, an Software und an der Tatsache, dass der Maschinenbau Kunst­werke herstellt, an denen tausend Leute beteiligt sind. Eine unglaubliche Koordinationsaufgabe. Ich habe Spaß daran, dass Leute ihr Talent im Maschinenbau in einer technischen Art und Weise ein­setzen können, wie in vielen anderen Branchen nicht.

Gerade „flirten“ Sie aktiv in einem spannenden Beratungsprojekt mit Kuhn Edelstahl. Finden sich dort die Aspekte, die sie so lieben?

Erstens ist Kuhn Edelstahl im besten Sinne ein unternehmerischer Mittelständler, wo auch Einzelne mutige Entscheidungen treffen. Zweitens hat Andre Kuhn begriffen, dass die Stärke des Unternehmens nicht primär darin liegt, dass sie technisch gut aufgestellt sind, sondern dass sie auch Leute haben, die den Laden nach vorne bringen, und das fördert er. Es macht wirklich Spaß, mit Kuhn Edelstahl zusammenzuarbeiten, weil da Einzelne spontan ein Thema angepackt haben, und sich die Führungskräfte, anders als bei anderen Organisationen, ziemlich zurückgehalten haben. Sie haben die Mitarbeiter einfach machen lassen, anstatt ihnen zu sagen, was sie tun sollen. So entsteht Energie.

»Trenne das Denken vom Handeln und du wirst eine effiziente Organisation bekommen. Wir haben aber gelernt, dass es dieses Paradigma in vielen turbulenten Branchen nicht mehr gilt.«

Sie sprechen immer wieder von Denkwerkzeugen. Was können wir darunter verstehen?

Ich erläutere es an einem Beispiel: Es gibt Firmen, die einen einfach wachsenden Markt, relativ einfache Produkte und einen wenig aggressiven Wettbewerb haben. In aller Regel werden diese Unternehmen von ganz wenigen Personen gesteuert, die Entscheidungen treffen und für das Funktionieren sorgen. So wie das heute vielleicht in einer chinesischen Spielzeugfabrik auftritt. Die grundlegende Idee dahinter ist: Trenne das Denken vom Handeln und du wirst eine effiziente Organisation bekommen. Wir haben aber gelernt, dass es dieses Paradigma in vielen turbulenten Branchen nicht mehr gilt. Es gibt jedoch viele Werkzeuge, die auf diesem Paradigma fußen – z. B. das Verhältnis zwischen einem Vorgesetzten und seinem Mitarbeiter, bei dem der Mitarbeiter seinen Vorgesetzten bei sehr vielen Dingen um Erlaubnis fragen oder gar um Anweisung bitten muss. Das basiert auf dem Denkmodell, dass das Denken vom Handeln getrennt ist und man damit effizienter wird.

Wenn man dieses Denkmodell über Bord wirft und sagt: Aha, es gibt Fälle, bei denen gilt das nicht mehr! Wie muss man denn dann über das Verhältnis zwischen Führungskraft und Mitarbeiter denken? Wie muss man den ganzen Rest beurteilen? Es hat gar nicht so sehr mit der Anwendung von Tools zu tun, sondern eigentlich mit einer Veränderung eines Denkmodells. Unsere Erfahrung ist, wenn Führungskräfte dauernd auf dem falschen Dampfer unterwegs sind, kann man auf der Arbeitsebene so viel tun wie man will, man kriegt das Problem nicht gelöst. Deshalb setzen wir bei den Denkwerkzeugen an.

„Neu denken“ heißt doch bestimmt auch „anecken“, oder?
Wie kriegen Sie Kritiker im Unternehmen auf Ihre Seite?

Wir setzen auf zwei Dinge. Einmal auf Planspiel-Simulation und auf Experimente. Wir setzen uns mal einen Tag zusammen und probieren bestimmte Dinge in einer Experimentierumgebung aus. Wir haben eigene Planspiele für den Maschinenbau entwickelt. Das sind ein ganz interessante Werkzeuge, aber längst nicht die besten. Das allerbeste ist nämlich – und da gibt es keine vergleichbare Alternative: Man muss in der Realität Experimente machen. Es hat sich im Maschinenbau gezeigt, dass dort aufgrund von tausend Problemen im Alltag folgendermaßen beim Montieren von Maschinen verfahren wird: Jeder Monteur bekommt eine Maschine, und wenn dann irgendein Teil fehlt, geht er zur nächsten Maschine. Das ist so ein ganz klassisches Beispiel, darum sagen wir: Ihr müsst so eine Maschine zu acht montieren, wenn ihr schneller werden wollt. Das geht, aber dann müsst ihr so lange warten, bis alle Teile da sind. Die Leute reagieren natürlich skeptisch und halten den Vorschlag für nicht praktikabel: Wer kann es sich schon leisten, monatelang mit allen zu diskutieren, wie man die Aufgabe in den Griff kriegen könnte.

Andernfalls kann man auch sagen: Jetzt nehmen wir mal eine Maschine, dazu fünf Freiwillige und machen es einfach. Danach diskutieren wir darüber, was gut und was schlecht gelaufen ist und wie es auch anders hätte gehen können. Schätzungsweise ein Drittel dieser Experimente klappen tatsächlich nicht. Aber zwei Drittel zeigen, mit einem bisschen Gehirnschmalz und Spucke klappt’s auch. Sobald die Leute sehen, dass es funktioniert, machen sie mit.

Welche Rolle spielen Glaubenssätze im Unternehmen?

Sie spielen tatsächlich eine große Rolle. Man kann auch sagen, es ist die Weltanschauung der Einzelnen. Ein Beispiel: Ein typischer Unternehmensglaubenssatz ist: Wir verdienen nur Geld, wenn die Maschinen laufen! Da ist ja auch was dran, denn wenn alle Maschinen stehen, verdient man mit Sicherheit kein Geld. Bei Kuhn gibt es dazu ein wunderschönes geflügeltes Wort: „Wir haben keine Stehmaschinen, sondern Drehmaschinen.“

Diese Glaubenssätze führen dazu, dass an allen Maschinen mit gleicher Priorität dafür gesorgt wird, dass sie möglichst lange laufen. Und man könnte sagen, die neue Weltanschauung, die wir jetzt versuchen zu platzieren, ist: Fokussiert euch auf eure Engpässe. Bei einem Nicht­eng­pass ist das nahezu gleichgültig, doch wenn eine Stunde bei einem Engpass ausfällt, hast du einen Ertragsverlust. Darüber haben wir diskutiert und siehe da, jetzt kommen die Ersten und sagen: Okay, was heißt jetzt das in der Konsequenz für die Kennzahlen, für unser Jobflowmanagement, für die Art und Weise, wie wir die Mitarbeiter aufteilen usw.? Und dann ändert sich das Handeln. Dazu muss sich der Glaubenssatz ändern.

Unternehmen gehen teilweise nicht gerne offen damit um, dass sie sich Unternehmensberater ins Haus holen. Woran liegt das?

Es gibt sicher zwei entscheidende Gründe. Einmal die Furcht davor, dass Außenstehende vermuten könnten, es sei gerade eine Restrukturierung oder ein Kostensanierungsprogramm im Gange, weil man nicht den angestrebten Erfolg hat.

»Man muss in der Realität Experimente machen.«

Aber da gibt es noch einen zweiten Punkt: das Selbstverständnis von Führung in Deutschland – oder sogar auf der ganzen Welt. Die ist überall gleich: Der Firmenchef muss wissen, wohin die Reise geht. Aber was ist, wenn er das nicht tut? Was ist, wenn er ein Grübler ist oder sagt: In Zeiten von komplexer Umgebung kann man eigentlich nur noch durch Ausprobieren herausfinden, was richtig ist. Genau das tun wir jetzt und holen uns ein paar Menschen, die uns beim Rumprobieren helfen. Das ist quasi das Gegenteil einer dominanten Haltung.

Führungskräfte, die momentane Schwächen in der Organisation nicht sichtbar machen wollen, weil diese ihrer Meinung nach auf sie zurückfallen, entziehen der Organisation Lernpotenzial. Und wenn man so will, ist die Unfähigkeit, offen mit Beratung umzugehen, Symptom dieser Haltung.

Kuhn macht das anders. Warum ist es gut, darüber zu sprechen?

Ich glaube die machen viel richtig. Ich war im Übrigen auch erstaunt über die Fähigkeit der Führungskräfte, eine Weile geduldig zuzuhören, um wirklich zu verstehen, was der andere eigentlich will – selbst wenn sie relativ schnell merken, dass sie anderer Meinung sind. Viele Führungskräfte fangen sofort an, dagegen zu argumentieren, und das in einer sehr beherrschenden Art und mit allen Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen. Das habe ich bei Kuhn praktisch kein einziges Mal erlebt. Alle haben geduldig zugehört und anschließend gesagt, welcher Meinung sie sind und was sie zum Nachdenken anregt. Das fand ich erstaunlich. Und deshalb macht uns das Projekt auch wirklich Spaß.

»Führungskräfte, die momentane Schwächen in der Organisation nicht sichtbar machen wollen, weil diese ihrer Meinung nach auf sie zurückfallen, entziehen der Organisation Lernpotenzial.«

Eingangs sprachen wir über Ihre Liebe zur Branche. Bleibt die Branche auch in Zukunft so liebenswert? Wird sie noch attraktiver? Wo geht die Reise hin?

Seit fünf Jahren lässt sich deutlich beobachten, dass viel in Billiglohnländer, zum Beispiel nach Asien abwandert. In Deutschland bleibt im Moment eigentlich alles, was von der Ausprägung her individuell ist und deswegen einen deutlich höheren Koordinations- und Technik­aufwand hat.

Man könnte sagen, die Welt verteilt die Arbeit so, dass wirtschaftlich ein vernünftiges Gesamtergebnis dabei rauskommt. Insofern würde ich sagen, dass der Maschinenbau gerade einen Wandel durchlebt, den man als mechatronische Revolution bezeichnen könnte.

In 15 bis 20 Jahren kollabiert die Welt entweder unter der Last der Menschheit und dann gibt es wieder mechanische Maschinen. Oder aber die Menschheit als Ganzes wird immer vernünftiger. Dann werden Maschinen komplizierter, weil sie nicht nur Ressourcen vergeuden, sondern ausbalanciert sind auf die Bedürfnisse, die so eine globale Entwicklung hat. Das heißt, wir brauchen Experten, Talente, neue Unternehmen, die ganz neue Sachen erfinden.

Das zeigt sich jetzt schon an kleinen Firmen, die mechatronisch gut aufgestellt sind. Sie haben ziemlich viel Erfolg. Die Großen hingegen hängen sehr stark von Großindustrien, Windkraft, Automotive und Schiffsbau ab. Ich glaube, das wird sich destabilisieren und es wird viele kleine Unternehmen geben. Die Branche lebt genau von dieser Vielfalt im Mittelstand und nicht von wenigen Konzernen. In der Summe wird es weiterhin Spaß machen, sich mit der Branche zu beschäftigen.

Experten-Interview mit Benno Löffler zum Thema Lean Management und Führung

Benno Löffler

Geschäftsführer bei Vollmer & Scheffczyk GmbH

  • Studium Maschinenwesen,
    Diplom-Ingenieur
  • Langjährige Tätigkeit bei Fraunhofer IPA
  • Lean-Thinker, Lean-Macher, Black-Belt, Coach, Top-Management-Überzeuger, Dozent, Mensch

Unternehmensberatung, Spezialisierung auf mittel ständischen Maschinenbau

  • 1999 gegründet
  • 18 Mitarbeiter
  • Hannover, Stuttgart, Roseville (USA)
  • TOP-Consultant Auszeichnung 2011, 2013, 2014

 

Fotos: https://stock.adobe.com/de/images/teamwork-concept/60091191; © Sergey Nivens – stock.adobe.com

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